Mit Aduncanumab (Handelsname: Aduhelm ®) wurde im Juni 2021 zum ersten Mal seit 18 Jahren ein neues Alzheimer-Medikament von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen. Viele Menschen, die auf eine Behandlung der Krankheit hoffen, freuen sich darüber. Einige Forscher sind jedoch überrascht und enttäuscht.
Das von Biogen in Cambridge entwickelte Aducanumab ist das erste zugelassene Medikament, das die Ursache der Krankheit und nicht nur ihre Symptome behandeln könnte. Die Zulassung hat jedoch eine kontroverse Debatte über die Wirksamkeit des Medikaments ausgelöst. Viele Experten weisen darauf hin, dass die Studiendaten nicht belegen, dass Aducanumab den kognitiven Abbau verlangsamt (wir berichteten).
Bisherige Alzheimer-Medikamente wie Galantamin, Donepezil oder Piracetam bekämpfen nur die Symptome, indem sie beispielsweise den Gedächtnisverlust um einige Monate hinauszögern. Aducanumab dagegen baut bestimmte Plaques (Beta-Amyloid) im Gehirn ab, von denen einige Forscher annehmen, dass sie die Ursache der Alzheimer-Krankheit sind. Dieser Ansatz ist jedoch umstritten.
Schwierige Datenlage
Aducanumab ist das jüngste in einer langen Reihe von Medikamenten, die Amyloid bekämpfen sollen. Andere Medikamente dieser Art haben bisher keine Besserung gebracht. Daher stellt sich die Frage, ob Amyloid das richtige Ziel ist.
Die FDA-Zulassung basiert auf Daten aus zwei Phase-III-Studien. Im März 2019 untersuchten Forscher die Zwischenergebnisse dieser Studien, die an Menschen mit Alzheimer im Frühstadium durchgeführt wurden. Sie kamen zu dem Schluss, dass ein Erfolg nicht zu erwarten sei, und Biogen brach beide Studien vorzeitig ab.
Doch Monate später kam der Antikörper bei einer genaueren Analyse der Daten wieder ins Gespräch. Die Verlangsamung des kognitiven Abbaus war in der Untergruppe der Teilnehmer, die die höchste Dosis erhalten hatten, statistisch signifikant. Bei einer niedrigeren Dosis und in der anderen Studie zeigte sich jedoch kein Nutzen.
Für Paul Aisen, Direktor des Alzheimer’s Therapeutic Research Institute an der University of Southern California in San Diego, sprechen alle Daten für eine Zulassung. „Meiner Meinung nach ist Aducanumab eine wirksame Therapie“, sagt Aisen. „Aber die Datenlage war problematisch. Es war eine sehr heikle Situation“, räumt er ein.
Expertenstreit um die Zulassung von Aduhelm
Die sehr kontroversen Standpunkte des Herstellers und der unabhängigen Experten wurden im November 2020 bei einer FDA-Sitzung zur Erörterung der Datenlage deutlich. Ein Expertengremium, das die FDA berät, wies die Behauptung von Biogen zurück, dass die teilweise positiven Ergebnisse mehr Gewicht hätten als die negativen. Scott Emerson von der University of Washington in Seattle sagte: „Das ist, als würde man mit einer Schrotflinte auf eine Scheune schießen und dann eine Zielscheibe um die Einschusslöcher malen.
Die Daten zeigen auch, dass Aducanumab schwere Nebenwirkungen hat. In beiden Studien traten bei etwa 40 % der Teilnehmenden Hirnschwellungen auf. Diese verliefen zwar meist ohne Symptome, erfordern aber regelmäßige Untersuchungen, um Komplikationen zu vermeiden. Das belastet die Patienten zusätzlich und erhöht die Kosten.
Auch in der Sitzung im November 2020 waren sich 10 von 11 Mitgliedern des Panels einig, dass die Daten keinen Beleg für die Wirksamkeit von Aducanumab darstellen. Ein Mitglied des Gremiums war sich nicht sicher. Sechs Monate später kam die FDA zu einem anderen Schluss.
Auflage: Studien nach der Zulassung
Als Voraussetzung für die Zulassung durch die FDA, die auf dem „Accelerated Approval“ der Behörde basiert, muss Biogen nun eine Folgestudie durchführen. Diese soll bestätigen, dass das Medikament die Kognition verbessern kann. Wann und wie diese Studie durchgeführt wird, hat das Unternehmen noch nicht bekannt gegeben. Biogen hat dafür bis zu neun Jahre Zeit.
„Die Erfahrung zeigt, dass man sich nicht unbedingt auf die beschleunigte Zulassung verlassen kann, um gute Daten zu sammeln“. So der FDA-Berater Aaron Kesselheim von der Harvard Medical School in Boston. Er fügte hinzu: „Dieses Verfahren öffnet die Tür für Hersteller, die Medikamente auf der Basis schlechter Daten oder Post-hoc-Analysen auf den Markt bringen wollen.
„Aduhelm“ bald auch in der EU?
Derzeit läuft eine Prüfung von Aduhelm bei der EMA. Die EU-Agentur ist in der Vergangenheit häufig zu anderen Einschätzungen gekommen als die FDA. Eine Zulassung in der EU kann daher nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden.
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