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Vorbeugung

Gesucht: ein Impfstoff gegen Alzheimer

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Titelbild Impfung gegen Alzheimer

Ein Impfstoff gegen Alzheimer wäre fantastisch. Eine Impfung gegen eine Krankheit, die als schwer behandelbar gilt, könnte die Tür zu einer wirksamen Prävention öffnen. Doch ob und wann es ihn geben wird, darüber sind sich die Experten nicht einig. Wir haben uns in die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse vertieft, um Ihnen einen Überblick über den Stand der Forschung zu geben und die wichtigsten Fragen zu beantworten.

Im Jahr 2002 erlitt der erste Impfstoffkandidat gegen die Alzheimer-Krankheit, der in die klinische Erprobung ging, einen herben Rückschlag. Nach beeindruckenden Daten im Tiermodell wurde AN-1792 von Elan Pharmaceuticals in einer Phase-II-Studie an 372 Patienten mit frühen Symptomen der Alzheimer-Krankheit getestet. Theoretisch sollte AN-1792 die Produktion eines Antikörpers gegen eine giftige Plaque, die sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten bildet, anregen und so den kognitiven Verfall verlangsamen. Allerdings griffen diese Antikörper auch gesunde Zellen im Gehirn an. Dies führte bei mehreren Patienten zu schweren Hirnschwellungen und zum vorzeitigen Abbruch der Studie.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten standen Impfstoffe weitgehend im Schatten der Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten. Seitdem sind monoklonale Antikörper ins Rampenlicht gerückt, vor allem durch den kürzlich von Biogen vorgestellten Antikörper Aduhelm (Aducanumab) und eine erfolgreiche Phase-III-Studie mit dem Antikörper Lecanemab von Eisai und Biogen. Eine Reihe vielversprechender Studien hat jedoch in jüngster Zeit wieder einen schwachen Hoffnungsschimmer für den Impfstoffansatz geweckt.

Impfstoff gegen Alzheimer: viele Vorteile

Experten gehen davon aus, dass ein Impfstoff gegen Alzheimer billiger, sicherer und bequemer wäre als monoklonale Antikörper. Während Impfstoffe den Körper dazu anregen, eigene Antikörper zu produzieren, müssen monoklonale Antikörper regelmäßig direkt in die Blutbahn injiziert werden. Dies erfordert teure, stundenlange intravenöse Infusionen, die etwa alle zwei Wochen verabreicht werden müssen, was diese Behandlung für die meisten der weltweit 55 Millionen Alzheimer-Patienten unerschwinglich macht. Das Antikörperpräparat Aduhelm kostet in den USA 23.000 Dollar pro Jahr. Ein Impfstoff gegen Alzheimer würde, inklusive Auffrischungen, vermutlich weniger als 1.000 Dollar pro Jahr kosten.

Der Misserfolg von AN-1792 verdeutlicht jedoch die zentrale Herausforderung des Impfstoffkonzepts. Ziel ist es, eine Immunantwort hervorzurufen, die stark genug ist, um die toxischen Proteine im Gehirn zu bekämpfen. Sie sollte aber nicht so stark sein, dass sie gesunde Zellen angreift. Im Gegensatz zu den meisten Impfstoffen, die sich gegen fremde Infektionserreger wie Masern oder SARS-CoV-2 richten, müssen Alzheimer-Impfstoffe Toxine bekämpfen, die sich natürlicherweise im Gehirn ansammeln. Den Körper dazu zu bringen, Antikörper gegen sich selbst zu produzieren, die ihm nicht schaden, ist keine leichte Aufgabe.

Die Rolle der Beta-Amyloide

Als Alois Alzheimer 1906 die später nach ihm benannte Erkrankung erstmals dokumentierte, beschrieb er Plaques im Gehirn als entscheidendes Merkmal. In den Jahrzehnten seither haben Forscher zahlreiche Medikamente entwickelt, um die Beta-Amyloid-Plaques aus dem Gehirn zu entfernen. Sie gehen davon aus, dass sich dadurch das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit verlangsamen oder sogar umkehren lässt. Amyloid-Plaques sind leicht mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung zu bringen, da sie gut sichtbar sind.

Allerdings hat keine der Therapien, die auf diese Plaques abzielen, in Studien eindeutig positive Ergebnisse gezeigt, und viele haben auch schwere Nebenwirkungen verursacht. Der Antikörper Aduhelm, der auf Beta-Amyloid-Plaques abzielt, verursachte in Phase-III-Studien bei 35 % der Patienten eine Hirnschwellung als Nebenwirkung. Sicherheitsbedenken und gemischte Wirksamkeitsdaten veranlassten Medicare, die staatliche Krankenversicherung der USA, schließlich dazu, die Kostenübernahme stark einzuschränken, obwohl das Medikament 2021 von der FDA zugelassen wurde.

Viele Forscher, die an Alzheimer-Impfstoffen und Antikörpern arbeiten, versuchen nun, über die Beta-Amyloid-Plaques hinauszugehen. Die Befürworter des Impfstoff-Ansatzes argumentieren, dass ihr Ansatz die bei klinischen Studien mit monoklonalen Antikörpern häufig auftretenden Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen vermeiden könnte.

Impfstoff gegen Alzheimer: weniger Risiken?

Sowohl der US-amerikanische Impfstoffhersteller Vaxxinity als auch das schwedische Biotech-Unternehmen Alzinova arbeiten an Impfstoffen, die auf die sogenannten Beta-Amyloid-Oligomere abzielen. Dabei handelt es sich um eine Art Nervengift, das die Funktion der Synapsen beeinträchtigen kann. Im Gegensatz zu den Beta-Amyloid-Plaques, die sich auch bei gesunden Menschen ansammeln können, sind die Oligomere immer schädlich. Im September hat Lecanemab, das ebenfalls auf Oligomere abzielt, als erster Alzheimer-Antikörper in einer Phase-III-Studie seinen primären Endpunkt erreicht und den kognitiven Verfall um 27 % verlangsamt. Allerdings führte Lecanemab bei 12,5 % der Patienten zu einer Hirnschwellung. Das ist zwar weniger als bei Aduhelm, aber immer noch ein erhebliches Problem.

Ein leitender Wissenschaftler von Vaxxinity erklärt, dass die Studien, die mit Lecanemab durchgeführt wurden, die Beta-Amyloid-Oligomere als therapeutisches Ziel validiert haben. Er fügt hinzu, dass der Impfstoffansatz, der auf die Oligomere abzielt, das Risiko einer Hirnschwellung weiter verringern könnte. In einer kleineren Phase-II-Studie mit einem Vaxxinity-Impfstoff bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Krankheit wurden keine Hirnschwellungen beobachtet. In einer laufenden Phase-I-Studie mit dem Impfstoff ALZ101 von Alzinova bei Alzheimer im Frühstadium wurden ebenfalls keine Fälle gemeldet. Es ist jedoch noch zu früh, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.

Bei einigen Antikörpern wird mit einer Dosistitration experimentiert, um das Risiko einer Hirnschwellung zu verringern. Dies bedeutet eine allmähliche Erhöhung des Infusionsvolumens über viele Monate, um das Risiko von Nebenwirkungen zu verringern. Impfstoffe tun dies jedoch auf natürliche – und wirksamere – Weise, indem sie die Antikörperproduktion allmählich steigern, um eine überschießende Immunantwort zu vermeiden.

Klinische Studien

Bei einem Herzinfarkt haben sich die zugrundeliegenden Risikofaktoren in der Regel über Jahrzehnte aufgebaut. Ähnlich ist es vermutlich bei der Alzheimer-Krankheit, der eine jahrzehntelange Schädigung der Nervenzellen vorausgeht. Vorbeugung wäre die beste Behandlung.

Eine der größten Herausforderungen sei es, die richtigen Patienten für klinische Studien zu rekrutieren, erklärt Andrea Pfeifer, CEO von AC Immune, einem Schweizer Biotech-Unternehmen mit zwei Alzheimer-Impfstoffkandidaten in der Entwicklung. Einer davon soll ein bestimmtes Protein abbauen, das mit neuronalen Schäden bei der Alzheimer-Krankheit in Verbindung gebracht wird. Ziel der Studie ist es, Biomarker zu identifizieren, die mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko assoziiert sind, und zu messen, ob der Impfstoff diese Parameter beeinflusst. Im Idealfall werden die Forscher Bluttests entwickeln, mit denen sich das individuelle Risiko, an Alzheimer zu erkranken, bestimmen lässt.

Vaxxinity plant eine Phase-III-Studie mit dem Impfstoff UB-311 für Patienten im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit. In die 18-monatige Studie sollen 700 bis 800 Patienten aufgenommen werden, wobei die kognitive Verschlechterung als primärer Endpunkt gemessen wird. Vaxxinity sucht allerdings noch einen Partner, der die Studie unterstützt.

Eine kritische Frage ist die Häufigkeit der Impfungen. Vaxxinity plant drei Basisimpfungen, gefolgt von Auffrischungsimpfungen alle drei Monate. AC Immune und Alzinova geben an, dass Auffrischungen nur alle sechs Monate notwendig sein könnten. Zum Vergleich: Bei Aduhelm und Lecanemab ist alle zwei Wochen eine Infusion erforderlich.

Insgesamt wird die Impfstoffentwicklung als „schrittweise Annäherung“ betrachtet. Das Ziel: Impfstoffe an Personen testen, die noch nicht an Alzheimer erkrankt sind. Bei diesen könnten Impfungen weniger häufig erforderlich sein. Die Strategie zur Vorbeugung der Alzheimer-Krankheit könnte letztlich der Vorbeugung von Herzkrankheiten ähneln, bei der Risikopatienten Medikamente zur Senkung eines hohen Cholesterinspiegels einnehmen. Wenn ein Patient bei einem Bluttest hohe Werte von Beta-Amyloid-Oligomeren aufweist, könnte der Arzt ihm eines Tages einen Impfstoff oder eine Therapie empfehlen, um sein Risiko zu senken.

Ein übersehener immunologischer Ansatz?

Vor etwa vier Jahren führte eine zufällige Begegnung zu einer völlig neuartigen Studie über die Alzheimer-Krankheit. Der Neurologe Steven Arnold, der sich mit Alzheimer und dem Altern beschäftigt, lernte die Immunologin Denise Faustman kennen, die sich auf Typ-1-Diabetes spezialisiert hat. Faustman führte eine Phase-I-Studie durch, um herauszufinden, warum ein Impfstoff gegen Tuberkulose das Immunsystem bei Typ-1-Diabetes zu stimulieren schien. Die beiden Ärzte begannen sich zu fragen, ob dieser Impfstoff auch eine Immunreaktion auslösen könnte, die vor Alzheimer schützt.

Arnold ist jetzt leitender Prüfarzt einer Phase-I-Studie, die den Tuberkulose-Impfstoff Bacillus Calmette-Guérin (BCG) bei 15 Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Krankheit erprobt. Die Studie basiert auf dem gleichen Basisprotokoll wie Faustmans Diabetes-Studie. Etwa zur gleichen Zeit wurde unabhängig davon anhand von elektronischen Krankenakten festgestellt, dass die BCG-Impfung bei Menschen über 75 Jahren mit einem um 58 % geringeren Risiko für die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit verbunden ist. Vorläufige Daten zeigen, dass der BCG-Impfstoff die Immunreaktion von Zellen der Rückenmarksflüssigkeit, die im und um das Gehirn herum zirkuliert, verändern kann. Die Fehlsteuerung des Immunsystems ist ein bekanntes Merkmal der Alzheimer-Krankheit.

Inzwischen gibt es eine Reihe weiterer Studien, die die Auswirkungen verschiedener Impfstoffe auf die Alzheimer-Krankheit untersuchen. Eine von Mindful Diagnostics and Therapeutics gesponserte Phase-I-Studie (NCT05183516) untersucht die Auswirkungen einer eher seltenen Tetanus-Impfung auf Biomarker der Alzheimer-Krankheit. Die Impfung wurde zuvor mit einem um 42 % geringeren Risiko für die Entwicklung einer Demenz in Verbindung gebracht. Die Tatsache, dass eine Reihe von Impfstoffen, die sich gegen ganz unterschiedliche Organismen und Krankheiten richten, einen Nutzen zeigen, deutet nach Ansicht des Studienleiters darauf hin, dass das Immunsystem eine wichtige Rolle spielt.

Impfstoff gegen Alzheimer macht den Körper zum „Bioreaktor“

Es wird erwartet, dass die Zahl der Alzheimer-Patienten bis zum Jahr 2050 weltweit auf mehr als 139 Millionen ansteigen und sich damit die Belastung durch die bereits heute am weitesten verbreitete neurodegenerative Erkrankung fast verdreifachen wird. Allein in Deutschland beläuft sich die volkswirtschaftliche Belastung durch die Alzheimer-Krankheit im Jahr 2020 auf 83 Milliarden Euro (DZNE). Weltweit dürften die Kosten in die Billionen gehen.

Während die Wissenschaftler nach neuen Ansatzpunkten für Impfstoffe und Strategien zur Aktivierung des Immunsystems suchen, wird immer deutlicher, dass die Alzheimer-Krankheit in weiten Teilen noch nicht verstanden ist. Selbst die positiven Daten zu Lecanemab sind mit Vorsicht zu genießen: Bei Patienten, die Lecanemab erhielten, verschlechterte sich die Krankheit weiter, wenn auch langsamer als bei Patienten, die ein Placebo erhielten. Selbst wenn die Beta-Amyloid-Oligomere im Gehirn entfernt werden, schreitet die Krankheit weiter voran. Dies deutet darauf hin, dass die Alzheimer-Krankheit nicht allein durch Amyloid erklärt werden kann und dass es noch andere, bisher unbekannte Faktoren gibt.

Impfstoffe gegen die Alzheimer-Krankheit haben seit der fehlgeschlagenen Studie von Elan im Jahr 2002 einen weiten Weg zurückgelegt, doch die Forschenden sind sich bewusst, dass es noch viel zu tun gibt. Das grundlegende Ziel, einen erschwinglichen und wirksamen Impfstoff gegen Alzheimer herzustellen, bleibt jedoch unverändert. Mei Mei Hu, CEO des texanischen Biotech-Unternehmens Vaxxinity, drückt es so aus: „Monoklonale Antikörper werden in riesigen Bioreaktoren in einem sehr teuren Verfahren hergestellt. Bei einem Impfstoff lernt der Körper, selbst zum Bioreaktor zu werden und die Antikörper selbst zu produzieren“.

Quelle

Siehe auch: Impfungen gegen Grippe und Corona senken Alzheimer-Risiko – Infektionen steigern es (mdr.de)

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